Psychotherapie bei chronischen Schmerzen

Wenn wir Schmerzen haben, meldet sich unser Körper und nicht die Psyche. Da erscheint es merkwürdig, wenn Psychotherapie helfen soll. Zunächst wurden Schmerzen immer medizinisch behandelt. Wenn das nicht half und medizinisch kein klarer Befund möglich war, konnten sich Patienten wie „eingebildete Kranke“ fühlen. Mittlerweile spricht die Wissenschaft bei chronischen Schmerzen von einem biopsychosozialen Geschehen, dass den Körper, die Psyche, aber auch das soziale Leben umfasst.

„Biopsychosozial“ bedeutet, dass psychische, körperliche und soziale Aspekte der Lebenserfahrung nicht nur zusammenhängen, sondern drei Erlebnisebenen eines ganzheitlichen Menschen sind. Körperliche Schmerzen haben eine psychische und soziale Dimension, von denen aus das Schmerzerleben beeinflussbar ist.

Die meisten Menschen kennen das sehr gut aus Stresserfahrungen, deren Dynamik ich hier sehr plakativ darstelle. Es gibt z.B. eine Aufgabe in der Arbeit. Der Mensch erlebt sich hier sozial, als Arbeitnehmer, der eine Aufgabe zu erfüllen hat. Psychisch stehen damit in Verbindung Überzeugen wie z.B. „diese Aufgabe muss unbedingt erfüllt werden, sonst gefährde ich meinen Arbeitsplatz“. Damit in Verbindung stehen die Lebenserfahrungen der Person, die sie mit Leistungserbringung bisher gemacht hat. Auf der körperlichen Ebene bedeutet „muss unbedingt erfüllt werden“, dass der Körper auf die Wahrung seines physiologischen Gleichgewichts verzichtet, um Leistung erbringen zu können. Stresshormone werden ausgeschüttet, der Kreislauf verändert sich, die Skelettmuskulatur spannt sich an. Wenn sich nun Aufgabe an Aufgabe reiht und die Person nur noch „funktionieren“ will oder muss, verliert sie die psychischen und körperlichen Erholungsphasen. Ein chronisches Stresssyndrom bildet sich heraus, dass sich auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene zeigt. Körperlich können das Schmerzen sein (aber auch unterschiedliche Gewebeschädigungen), psychisch ein Gefühl der Erschöpfung und Verlust an Lebensfreude, sozial erscheint die Person angespannt, unfreundlich und wird entsprechend von anderen behandelt.

Heißt das jetzt, Arbeit macht krank? Nicht unbedingt. Es hängt von der Einstellung zur Arbeit, der körperlichen und psychischen Belastbarkeit und den Umständen der konkreten Arbeit ab. Da haben wir wieder Psyche, Körper, Soziales. Außerdem kann man ein Stressmuster auch im Privatleben ausbilden.

Das Beispiel zeigt auch, dass die Behandlung an allen drei Aspekten ansetzen kann. Die skizzierte Person könnte den Arbeitsplatz wechseln (sozial), sie könnte sich regelmäßig körperlich erholen bei Gymnastik, TaiJi, Yoga usw. (Körper). Und sie könnte ihre Einstellung zur eigenen Leistungserbringung überprüfen und gegebenenfalls verändern (Psyche).

Das Beispiel skizzierte einen Stress, der scheinbar von außen kommt. Im Grunde geht es da um die Anforderungen, die unsere Art zu leben an den einzelnen stellt.

Genau so gibt es aber einen „Stress“, der von „innen“ kommt. Da sind wir mit unseren körperlichen und psychischen Eigenheiten konfrontiert. Z.B. neigen manche Menschen zu entzündlichen Prozessen im Nervensystem (Neuropathien) oder undefinierbaren Schmerzen im Bauch, Kopfschmerzen, Gesichtsschmerzen und vieles mehr. Natürlich gibt es bei diesen Leiden medizinische Hilfen, die wir auch in Anspruch nehmen sollten. Aber sie stellen uns auch vor die Aufgabe besser zu verstehen, was wir brauchen oder wie wir leben müssen, um diese Symptome immer seltener zu erleben. Die Symptome sind körperlich beeinflussbar, aber auch durch unsere Art zu denken, zu fühlen und zu handeln.

Wir müssen also mit uns selbst und unserem Umfeld zurechtkommen. Bei dieser Aufgabe gibt uns unser Körper unermüdlich Hinweise, was uns gut tun könnte. Wenn das nicht gelingt, weil wir die Sprache unseres Körpers ignorieren oder nicht verstehen, ist chronischer Schmerz eine mögliche Folge. Der Körper „schreit“, um wahrgenommen zu werden.

Psychotherapeutische Schmerztherapie unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Aufgabe, den Körper in seiner Sprache besser zu verstehen. Da Körper und Psyche eine Einheit bilden, versteht man nicht nur den eigenen Körper sondern sich selbst besser.